Lebensmittel-Online-Shops: Im Lager entscheidet sich der Erfolg
Rewe arbeitet Online nicht rentabel, entrüstete sich jüngst die deutsche Wirtschaftspresse. Doch ob ein Online-Supermarkt profitabel operieren kann oder nicht, entscheidet sich meistens im Lager. Oliver Lucas erklärt, worauf es bei der Optimierung von Lebensmittel-Lagerhaltung, Fulfillment und Versand ankommt.
Der Online-Handel mit Lebensmitteln stellt die Lebensmittellogistik vor völlig neue Herausforderungen. Der eigentlich erfolgsentscheidende Part ist die Intralogistik. Mit Picking-Kosten pro Artikel von 70 Cent und mehr – von denen Branchenexperten hinter vorgehaltener Hand berichten – werden sich nur schwer Gewinne erwirtschaften lassen. Nur wer seine Prozesse auf höchstmögliche Effizienz trimmt, kann mit dem Online-Versand von Lebensmitteln auf absehbare Zeit schwarze Zahlen schreiben.
Der beste Beweis für diese These ist Ocado. Der britische Internet-Supermarkt ist wohl derzeit der einzige, der wirklich Geld verdient. Mithilfe optimaler Software und Technik wie beispielsweise Robotern, die die Ware zum Picker bringen, lassen sich Bestellungen in weniger als fünf Minuten zusammenstellen und die Kosten pro Order drastisch senken. Allerdings mussten auch die Briten eine 14-jährige Durststrecke überwinden und immer wieder Kapital zuschießen, um den Traum vom Lebensmittellieferdienst nicht frühzeitig platzen zu lassen.
Filial-Picking oder Speziallager – diese Frage stellt sich kaum noch
Den meisten deutschen Handelsunternehmen dürfte dieser lange Atem fehlen. Umso wichtiger ist es, die eigene Intralogistik gleich von Beginn an so effizient wie möglich abzuwickeln. Hierbei stellt sich als erstes die Frage, wie der Online-Versand der Lebensmittel überhaupt organisiert werden soll. Soll die Ware aus einzelnen Filialen in Kundennähe gepickt und auf den Weg geschickt werden? Oder soll die Belieferung aus einem zentralen Lager heraus erfolgen?
Die meisten Online-Supermärkte entscheiden sich inzwischen für eine speziallagerbasierte Kommissionierung. Dies bedeutet zwar mehr Aufwand bei der Verpackung und höhere Kosten für den Versand. Allerdings kann in einem speziell ausgerichteten Lager ein sehr viel größerer Bestand effizienter gelagert und kommissioniert und ab einer bestimmten kritischen Masse die Logistikkosten gegenüber dem filialbasierten Ansatz drastisch gesenkt werden – vorausgesetzt, alle Prozesse sind effizient aufgesetzt.
Cross-Docking beschleunigt den Wareneingang
Die Optimierung des Lagers fängt schon beim Wareneingang an. Für ultrafrische Lebensmittel wie beispielsweise Salate von regionalen Lieferanten, die am Tag der Anlieferung das Lager auch wieder verlassen, lohnt sich die physische Einlagerung in speziellen Lagerplätzen (offen, gekühlt, hohe Luftfeuchtigkeit, Durchlaufregal etc.) in der Regel nicht. Effizienter ist es, diese Waren in einem eigenen Kommissionierbereich zwischenzulagern und bei der Bestellabwicklung über Cross-Docking mit anderen Produkten aus dem Lager direkt zu verheiraten.
Warum B2B- und B2C-Logistik nicht in einen Topf gehören
Ein weiterer Stolperstein in Sachen Intralogistik ist die Unterscheidung zwischen B2B- und B2C-Lager. Während in der B2B-Lebensmittellogistik Artikel in der Regel als Lagereinheit, Umkarton oder Palette verkauft werden, funktioniert die B2C-Logistik eher kleinteilig und in Einzelstücken. Wer beide Zielgruppen aus einem Lager bedient, macht sich das Leben unnötig schwer.
Getrennte B2B- und B2C-Lager oder zumindest getrennte Bestände umgehen dieses Problem – und profitieren auch beim Fulfillment: Denn während in der B2B-Logistik in der Regel Gabelstapler ganze Paletten durch die Gegend manövrieren, die am besten ebenerdig auf Blockflächen untergebracht sind, sind in der B2C-Logistik Picker zu Fuß mit Kommissionierwagen unterwegs. Sie können sich auch in einem abgeschlossenen Bereich auf Mezzaninebene bewegen und aus Fachböden mit kleinteiligem Inventar picken.
Optimales Kühllager: Jedem das Seine
Eine weitere wichtige Überlegung in Sachen Online-Lebensmittel-Logistik betrifft die Lagerart bei Kühlware. In der Regel ist es nicht wirtschaftlich, ein komplettes Lager auf vier bis acht Grad herunter zu kühlen. Stattdessen sollten Chilled Food (Lagerung und Transport bei 4 bis 8 Grad) und Tiefkühlware (Lagerung und Transport bei -18 Grad) im Logistikzentrum separat gelagert werden. In der Praxis zeigt sich, dass unterschiedliche Versender hinsichtlich Kühlung ganz unterschiedliche Lösungen für sich finden. Für kleinere Online-Lebensmittelshops können schon ausrangierte Kühltheken ausreichen, andere Anbieter arbeiten mit Kühlschränken, die von hinten und vorne zugänglich sind, für wieder andere Unternehmen erweisen sich Kühlzellen als praktikabelste Lösung. Eine wirkliche Best-Practice-Empfehlung gibt es hierzu jedoch nicht. Vor jeder Anschaffung empfiehlt es sich allerdings, eine Hochlaufplanung zur Volumenentwicklung durchzuführen. Auch die Frage, ob man eher in der Sortimentsbreite oder bei den Stückzahlen wachsen will, sollte für die Strategie und Auswahl des besten Kühl-Konzeptes berücksichtigt werden.
Letzte Meile: Auf die Extra-Services kommt es an
Auch beim Versand gekühlter Lebensmittel muss sichergestellt werden, dass die vorgeschriebenen Temperaturzonen bis zur Haustür des Empfängers eingehalten werden. Gerade für den Temperaturbereich von vier bis 18 Grad gibt es standardisierte und auch bezahlbare Lösungen. Kartonagen mit Passivkältespeicherfunktion und Kühlpacks halten Sendungen bei Bedarf bis zu 72 Stunden im vorgeschriebenen Bereich. Auch tiefgekühlte Ware findet ihren Weg zum Kunden: Statt mit Kühlpacks arbeiten die Versender dann mit Trockeneis, das bei wenig Volumen eine sehr lange Kühldauer verspricht.
Ist die Bestellung endgültig kommissioniert, muss ein passender Logistiker beauftragt werden. Tatsächlich stehen inzwischen für fast jede Produktgruppe spezialisierte KEP-Dienstleister parat. Besonders wichtig ist es für Online-Supermärkte, sich das Dienstleistungsportfolio genau anzusehen. In der Praxis hat es sich als extrem hilfreich erwiesen, wenn Kunden Zeitfenster für die Zustellung definieren können. Damit kommen Anbieter der Angst des Kunden zuvor, dass die Butter doch beim Nachbarn im Paket zerfließt, wenn man es selbst zum Zeitpunkt der Zustellung nicht annehmen kann. Wichtig beim Online-Bestellprozess ist es zudem, Feiertage und Wochenenden zu berücksichtigen und Bestellungen beispielsweise nicht unbedingt am Freitag vor Pfingsten noch zu verschicken, wenn die Kühlakkus im Karton nur 72 Stunden durchhalten.
Eigene Lieferdienste als optimales Konzept?
Alternativ zu Standard-Logistikern investieren Online-Lebensmittelhändler auch verstärkt in eigene Lieferdienste, um spezifische Kundenwünsche (z.B. Abendzustellung) zu erfüllen und hierüber möglichst gute Drop-Off Quoten je Stunde zu realisieren. Hier scheint Picnic ein spannendes Konzept entwickelt zu haben, um Kundenwünsche und wirtschaftliche Aspekte optimal zu kombinieren. Auch Rewe verfolgt diesen Ansatz. Skalierbare Modelle, um z.B. bereits bestehende Lieferservices (Kuriere, Pizzaservice, Uber, Taxi, Foodora etc.) einzubinden, werden dank sich stets verbessernder digitaler Steuerungsmöglichkeiten auch noch an Marktrelevanz gewinnen.
In Summe zeigt sich: Wer online mit Lebensmitteln handelt, muss sich viele Gedanken über die Logistik und die Gestaltung und Optimierung seiner Prozesse machen. Auch der Meister aller Prozesse, Amazon, experimentiert noch mit verschiedenen Konzepten und hat den Stein der Weisen noch nicht gefunden. Doch solange es im Getriebe knirscht, wird sich der Versand von Lebensmitteln kaum rentabel gestalten lassen.
Übrigens: Auf der „Next Generation Food“, dem jährlichen Familientreffen der (E-)-Food-Branche, diskutieren namhafte Experten am 15. Oktober 2018 in der Kalkscheune Berlin zum 6. Mal über aktuelle Trends im (Online-)Lebensmittelmarkt. Weitere Informationen zu dem von uns mitveranstalteten event gibt es online unter: www.next-generation-food.de.